Schwerpunktthema:
Wie die deutsche Energiewende im Stromsektor bezahlbar wird
Für die Energiewende im Strommarkt besteht dringender Korrekturbedarf. GES legt dazu ein neues Papier vor. McKinsey hat vorgeschlagen, den Ausbau von Wind- und Sonnenenergie in Deutschland zu begrenzen. Dadurch würden zugleich Kosten für den Ausbau von Stromleitungen entfallen. So könnten bereits 150 Milliarden Euro an Investitionen bis 2035 gespart werden. GES geht den Weg weiter und regt an, die Wind- und Solarkraft in Deutschland nicht über 50 Prozent im Gesamtsystem auszubauen, alles andere ist unwirtschaftlich. Neben den volatilen Quellen Wind und Sonne braucht ein stabiles Stromsystem eine zweite Säule mit verlässlicher, regelbarer Energie. Auch Gaskraftwerke, an denen CO2 abgeschieden wird, würden die Stromsystemkosten weiter runterbringen. Durch die Vorschläge von GES könnten bis 2035 weitere 150 bis 200 Milliarden Euro Investitionskosten vermieden werden. Die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland würde deutlich gestärkt.
Christof von Branconi (GES) fasst die wichtigsten Punkte im Interview zusammen.
Nach Einschätzung von GES wird die Nachfrage nach Strom geringer ausfallen als bisher geplant: Der E-Auto-Boom findet nicht statt, das Gleiche gilt für Wärmepumpen und der Ausbau großer Elektrolyseure für die Produktion von grünem Wasserstoff hinkt ebenfalls hinterher. Hinzu kommt eine rückläufige industrielle Nachfrage. Statt der bisher erwarteten mehr als 700 Terawattstunden Strombedarf rechnet GES bis 2035 höchsten mit 600 bis 650 Terawattstunden.
Anders als die Bundesregierung, die einen Vollausbau der Erneuerbaren anstrebt, setzt GES beim Stromsystem auf zwei Säulen. Aus drei Gründen: Erstens, das GES-Konzept erleichtert die Bereitstellung von Energie für Phasen von Dunkelheit und längerer Windstille, vor allem im Winterhalbjahr mit wenig Sonnenschein. Zweitens, die Doppelstruktur hilft bei der Stabilisierung des Stromnetzes, die für die Versorgungssicherheit entscheidend ist. Und drittens hilft das Zwei-Säulen-Modell, die Kosten des Stromsystems zu beherrschen.
Kurzmeldungen
An dieser Stelle greifen wir Nachrichten der letzten Wochen auf, die aus Sicht von GES Hoffnung geben, weil sie Bausteine einer möglichen globalen Lösung enthalten und / oder dazu beitragen, einen realistischen Blick auf die vor uns liegenden Herausforderungen zu entwickeln.
Die Bundesregierung hat das neue CO2-Speicherungsgesetz beschlossen. Jahrelang war Carbon Capture and Storage in Deutschland praktisch verboten. Nun soll in Deutschland abgefangenes CO2 exportiert oder auf deutschem Hoheitsgebiet unter der Nordsee verpresst werden. Carbon Capture an deutschen Kohlekraftwerken ist weiterhin nicht erlaubt.
Der Nationale Wasserstoffrat erwartet einen deutlich höheren Wasserstoffbedarf. Das Expertengremium geht für das Jahr 2030 von einen Gesamtbedarf zwischen 94 und 125 Terawattstunden aus.
Auch die Bundesregierung sieht Handlungsbedarf und hat das Wasserstoffbeschleunigungsgesetz auf den Weg gebracht. Es beseitigt Hemmnisse bei der Zulassung von Infrastrukturvorhaben, die Wasserstoff erzeugen, speichern oder importieren. Es beschleunigt, vereinfacht und digitalisiert die relevanten Planungs-, Genehmigungs- und Vergabeverfahren. GES begrüßt dieses Gesetz, das auch den geplanten Wasserstoff- bzw. Ammoniak-Importterminals zugutekommt. Wie im GES-Hintergrundpapier beschrieben, wird der Anteil der Importe für Wasserstoff eher höher als 70 Prozent betragen, entsprechende Importkapazitäten müssen rechtzeitig in Betrieb gehen.
Deutschland importiert in steigendem Maße russischen Kunstdünger, der aus Erdgas hergestellt wird. Tatsächlich sind die europäischen Importe von fossilen Energieträgern aus Russland seit dem Beginn des Kriegs in der Ukraine deutlich gefallen. Kunstdünger allerdings fällt nicht unter die EU-Sanktionen. Darauf verweist auch Friedbert Pflüger. Er spricht von einer Importsteigerung in Deutschland von 920 Prozent gegenüber dem Vorkriegsniveau.
Kurzfristige Stromausfälle führen nach einer Umfrage der Deutschen Industrie und Handelskammer (DIHK) vermehrt zu Produktionsausfällen und Maschinenschäden. Rund 70 Prozent der befragten Unternehmen berichteten von Stromausfällen, die mehrere Minuten dauerten. Die genaue Ursache bleibt meist im Dunklen.
Bis vor Kurzem hieß es bei Mercedes noch „Electric only“ – möglichst schnell aus Verbrennern raus. Angesichts schwacher Absatzzahlen für Elektrofahrzeuge sagte Konzernchef Ola Källenius nun, Verbrenner könnten „bis deutlich in die 2030er-Jahre“ verkauft werden. Der deutsche Automarkt sortiert sich derzeit offenbar um.
Der Sachverständigenrat der führenden Wirtschaftsexperten liegt im Streit über die künftige Technologie für Lkw. Vier von fünf Mitgliedern empfehlen die Förderung batterieelektrischer Lkw samt Ladeinfrastruktur. Ein Minderheitsvotum gab Veronika Grimm ab, alle Antriebsoptionen sollten offengehalten werden, auch die Wasserstofftechnologie. GES hält in seinem Papier zum Thema die Fixierung auf batterieelektrische Lkw für falsch und plädiert für einen technologieoffenen Weg, der auch klimaneutrale Kraftstoffe einschließt.
Italien geht beim Thema HVO (Hydrated Vegetable Oil) voran. Der weitgehend klimaneutrale Dieselkraftstoff ist mittlerweile flächendeckend erhältlich. In der Regel liegt der Preis in Italien rund fünf Cent unter denen des fossilen Diesels. Der staatlich kontrollierte Energiekonzern ENI hatte bereits 2014 zwei ehemalige Petroleum-Raffinerien umgebaut. Eine dritte in Livorno ist auf dem Weg. Seit vergangener Woche darf auch in Deutschland HVO100 offiziell verkauft werden. GES hat das Thema ausführlich behandelt.
Die Internationale Energieagentur (IEA) plädiert in einer Studie dafür, massiv in die Versorgung mit Rohstoffen für die Energiewende zu investieren. Die IEA rechnet damit, dass der Weltmarkt für Schlüsselmineralien sich bis 2040 auf mehr als 770 Milliarden US-Dollar verdoppeln wird.
Deutschland und Großbritannien sollen mit einer direkten Stromleitung verbunden werden, genannt NeuConnect. Auf britischer Seite wurde bereits im vergangenen Jahr mit dem Bau begonnen. Auf deutscher Seite fangen nun die Arbeiten in Wilhelmshaven an. Das 725 Kilometer lange Hochspannungs-Gleichstrom-(HVDC)-Unterwasserkabel soll ermöglichen, Strom mit einer Leistung von 1,4 Gigawatt in beide Richtungen fließen zu lassen. Das Projekt, das etwa 2,4 Milliarden Pfund (2,8 Milliarden Euro) kostet, soll bis 2028 in Betrieb genommen werden.
Der Planet erwärmt sich so schnell wie noch nie, der Temperaturanstieg könnte sich in den nächsten Jahren aber verlangsamen. Zu diesem Ergebnis kommt der jährliche Zwischenbericht des Weltklimarats in seiner Studie Indicators of Global Climate Change 2023. Noch in diesem Jahrzehnt werde das 1,5 Grad-Ziel überschritten, wenn nicht unerwartet starke Vulkanausbrüche den Anstieg verhindern. Eine Erwärmung auf mehr als zwei Grad und mehr ist nach den Klimamodellen wahrscheinlich – selbst wenn alle nationalen Klimaziele erreicht würden. Wovon man derzeit nicht ausgehen kann.