Synthetische Kraftstoffe aus Wind, Wasser und Luft
Es ist ein flaches und karges Land, sagt Markus Speith von Siemens Energy. „Beeindruckend, wie stark die Landschaft durch den Wind geprägt ist. Die Bäume stehen dort wirklich in eine Richtung geneigt.“ Speith war schon zwei Mal in Patagonien, im äußersten Süden Chiles. Auf den Flächen sollen demnächst die Bauarbeiten für das Projekt Haru Oni beginnen. Die Idee dahinter: Synthetische Kraftstoffe herzustellen, alleine aus Wind, Wasser und Luft. Derzeit ist davon aber noch kaum etwas zu sehen. In dieser grandiosen Landschaft an der Magellanstraße, die den Atlantischen mit dem Pazifischen Ozean verbindet, weiden hauptsächlich Schafe.
Der Wollhandel hat die Region einst reich gemacht. Im nahen Punta Arenas, mit 120.000 Einwohnern eine der südlichsten Städte der Welt, ist das noch im Stadtbild abzulesen. Hier haben die Wollbarone im 19. Jahrhundert ihre Prunkvillen gebaut. Heute lebt die Region überwiegend vom Handel und vom Tourismus. In Zukunft vielleicht auch von grüner Energie. Bisher gab es keine Möglichkeit, den Standort rund um Punta Arenas an das chilenische Stromnetz anzuschließen. Dafür ist er zu weit abgelegen. Vor einigen Jahren entstand dann die Idee, das „große Angebot an Windenergie in Moleküle umzuwandeln und die elektrische Energie transportabel zu machen“, sagt Speith. Das soll nun geschehen.
In der zweiten Jahreshälfte beginnen in Patagonien die Bauarbeiten für Haru Oni. Im Jahr 2022 soll die Pilotanlage 130.000 Liter Benzin produzieren. Sie sollen dann über den nahen Hafen nach Europa gehen. Allerdings ist dieses Benzin nur ein „Teilstrom“, die Produktion von Methanol als Grundstoff ist deutlich größer. Siemens Energy sieht sich als Mitentwickler des Projekts, Hauptentwickler ist die chilenische Energiegesellschaft AME. Mit dabei ist ein weiteres chilenisches Unternehmen, nämlich der nationale Öl- und Gasproduzent ENAP. Von Siemens Energy kommt viel Know-how: die PEM (Proton Exchange Membrane) Elektrolyse, mit deren Hilfe Wasserstoff produziert wird, sowie die Windkraftanlagen, um grünen Strom zu erzeugen von Siemens Gamesa. Wasserstoff wird mit CO2, das direkt aus der Luft gewonnen wird (Direct Air Capture), synthetisiert. So entsteht Methanol. Der Grundstoff wird schließlich zu Benzin weiterverarbeitet. „Bei der Anlage können Sie mit einem Auto vorfahren, tanken und dann nach Punta Arenas fahren“, sagt Speith.
Gibt es etwas Vergleichbares auf der Welt? „Nein, in dieser Konstellation ist das einmalig.“ Einzelne Bausteine wie Windräder, die Elektrolyse oder die Methanolsynthese, das alles sei nichts Neues. Aber die gesamte Wertschöpfungskette als Insellösung zu integrieren und technisch aufeinander abzustimmen, das schon. Weltweit gibt es tatsächlich nur wenige Projekte, die Methanol aus erneuerbaren Quellen produzieren. Auf Island beispielsweise existiert ein kommerzielles Kraftwerk, das grünen Wasserstoff mittels Elektrolyse gewinnt und mit CO2 aus lokalen geologischen Quellen synthetisiert. Aber dieses Unternehmen ist relativ klein. Das Projekt in Südchile spielt in einer anderen Liga.
Das Auftragsvolumen der Siemens Energy AG beträgt 22 Millionen Euro, darin enthalten sind gut 8 Millionen Euro vom Bundeswirtschaftsministerium. Es ist das erste Wasserstoffvorhaben, das im Rahmen der deutschen Wasserstoffstrategie (NWS) gefördert wird. Neben Siemens Energy nimmt Porsche als Investor und Abnehmer der eFuels eine wichtige Rolle im Projekt ein. Das Unternehmen will das synthetische Benzin im Motorsport einsetzen und perspektivisch auch in Seriensportwagen wie dem Porsche 911. Genau wie der Mutterkonzern Volkswagen setzt auch Porsche für die Zukunft auf batterieelektrische Mobilität. Um die Klimaziele jedoch schnell zu erreichen, muss auch für die weltweit existierenden rund 1,3 Milliarden Verbrenner Fahrzeuge eine Lösung gefunden werden. Dazu geht Porsche mit der zusätzlichen Verwendung von synthetischen Kraftstoffen einen zweiten Weg, damit in Zukunft auch Porsche-Bestandsfahrzeuge mit klimaneutralem Kraftstoff versorgt werden können.
Haru Oni ans Laufen zu bringen ist ein erster Schritt. Die Produktion von Methanol und klimaneutralen Kraftstoffen soll dann weiter ausgebaut werden. Laut Siemens Energy sieht die Skalierung folgendermaßen aus: Die Pilotanlage soll, wie erwähnt, im Jahr 2022 mit einer Kapazität von 130.000 Litern Benzin starten. Zwei Jahre später soll die Menge auf 55 Millionen Liter steigen und in der darauffolgenden Phase die zehnfache Menge erreichen, also 550 Millionen Liter Benzin. „Da reden wir dann über 1 Million Tonnen Methanol pro Jahr“, so Speith. „Das ist auch die gängige Größe von Anlangen, die fossil-basiertes Methanol herstellen.“
Von Europa aus gesehen gibt es wenige Regionen auf diesem Planeten, die weiter entfernt sind als der Süden Chiles. Macht dieser lange Transportweg ökonomisch überhaupt Sinn? Die Transportkosten spielen laut Markus Speith eine relativ untergeordnete Rolle. Entscheidend seien die Stromgestehungskosten. „Und da erwarten wir Werte deutlich unter zwei Dollar-Cent pro Kilowattstunde. Und das ist auch der eigentliche Grund, weshalb wir in diese Region gegangen sind.“ Speith spricht von mehr als 70 Prozent Jahresvolllaststunden der Windkraftwerke. „Wir denken, bereits mit der ersten kommerziellen Phase in einen wirtschaftlichen Bereich zu kommen.“ Das hängt laut Speith aber auch an den Regularien der Abnehmerländer. Der Preis für einen Liter Benzin soll in der kommerziellen Entwicklungsphase des Projekts in den Bereich von 1,3 bis 1,5 Euro kommen – vor Steuern. Und die sind entscheidend, wenn es um die Wirtschaftlichkeit geht. Für den klimaneutralen Kraftstoff aus Chile wünscht sich Speith einen Steuervorteil, wie er in Deutschland beispielsweise für Autogas (LPG) existiert. Oder auch eine gänzliche Steuerbefreiung. „Um das wirklich an der Zapfsäule attraktiv zu machen.“
Die Pläne passen zur grünen chilenischen Wasserstoff-Strategie. In dem südamerikanischen Land ist der Minen-Sektor traditionell stark. Chile hat sich nun einen Schwenk verordnet, von der Extraktion nicht-erneuerbarer Ressourcen hin zur Produktion sauberer und erneuerbarer Kraftstoffe. In der nationalen Strategie werden die Potenziale benannt. Die Rede ist von 160 Megatonnen grünen Wasserstoffs pro Jahr. Chile mit einer Nord-Süd-Ausdehnung von mehr als 4.000 Kilometern verweist auf Fotovoltaik-Anlagen, etwa in der Atacama-Wüste, und Windkraft in Patagonien, wo Siemens Energy nun tätig ist.
Siemens Energy geht in seiner Planung noch weiter. Power-to-X, also die Produktion von synthetischen Kraftstoffen, ist für das Unternehmen der entscheidende Baustein auf dem Weg zu einer klimaneutralen Welt. Aus grünem Wasserstoff und CO2 entstehen eFuels, etwa e-Methanol, e-Methan, e-Diesel, e-Kerosin oder auch kohlenstoffhaltige Grundstoffe der Chemieindustrie. Der strategische Ansatz für Siemens Energy ist die sogenannte Sektorenkopplung. Die Energieindustrie, die chemische, die Schwerindustrie und die Transportindustrie ließen sich durch Power-to-X zusammenführen. „Die Sektorenkopplung und Power-to-X sind der Weg hin zu geschlossenen CO2-Kreisläufen und CO2-neutralen Infrastrukturen“, heißt es in einer Broschüre von Siemens Energy. Das Unternehmen präsentiert ein systemisches Businessmodell für die Zukunft. Und verspricht einen sanften Übergang von der fossilen hin zu einer klimaneutralen Welt. Das ist das große Bild.
Die Power-to-X-Strategie von Siemens Energie zielt auf Anwendungsgebiete, in denen der batterieelektrische Antrieb seine Grenzen hat, sprich: Schwerlastverkehr, Flugverkehr und die Schifffahrt. In zehn Jahren, das ist die Erwartung von Ireneusz Pyc von Siemens Energy, will man Gestehungskosten pro Liter synthetischem Kraftstoff von einem Euro erreichen.
Haru Oni in Südchile ist ein erster Schritt auf diesem Weg und ein „Blueprint für die Entwicklung vergleichbarer Projekte weltweit“, sagt Markus Speith. Diese Projekte sind bereits in der Pipeline. Im Januar dieses Jahres hat Siemens Energy ein Memorandum of Understanding (MoU) mit Partnern in Abu Dhabi unterzeichnet. Auch hier geht es um die Produktion von grünem Wasserstoff und klimaneutralen Kraftstoffen. In der Nähe der Vorzeigestadt Masdar City in den Vereinigten Arabischen Emiraten soll ein Demonstrationskraftwerk basierend auf Fotovoltaik entstehen. Und wenn man weiß, dass auch die Fluggesellschaften Etihad und Lufthansa mit von der Partie sind, weiß man zugleich, dass es in Richtung klimaneutrales Kerosin geht. Markus Speith, Siemens Energy, im Interview: